Die dunkle Geschichte des Lagers Liebenau in Graz
Lange wurde die Geschichte des NS-Lager Liebenau in Graz nicht aufgearbeitet. Seit Herbst gibt es nun eine Gedenktafel und einen digitalen Rundgang, damit dieses dunkle Kapitel nicht in Vergessenheit gerät.
Das ehemalige Lager
Das Lager Liebenau (auch Lager V wie römisch fünf) wurde 1940 als sogenanntes Umsiedlerlager gebaut. Seine Baracken beherbergten zunächst Deutschsprachige aus anderen Ländern, sogenannte „Volksdeutsche“ die „heim ins Reich“ geholt wurden, bis diese feste Unterkünfte bekamen. Schon 1941 wurde es zum ZwangsarbeiterInnenlager, dessen BewohnerInnen im Steyr-Daimler-Puch-Werk bei der Produktion von Motor- und Fahrrädern sowie Waffenteilen arbeiten mussten.
Gräueltaten des NS-Regimes
Im Frühling 1945 diente es schließlich als Zwischenstation ungarischer Juden und Jüdinnen, die sich auf dem Todesmarsch nach Mauthausen befanden. Sie waren entkräftet und viele von ihnen krank, bekamen kaum Essen und keine medizinische Versorgung, obwohl diese vorhanden gewesen wäre. Es ist unklar, wie viele Menschen hier umgebracht und zu Tode gekommen sind. Augenzeugenberichte und Funde von Habseligkeiten sowie Hinweise auf verschüttete Bombenkrater deuten jedoch darauf hin, dass hier zahlreiche weitere Morde verübt wurden, von denen wir (noch) nichts wissen.
Nachkriegszeit und Liebenauer Prozess
Nach dem Krieg wurde die Geschichte durch die Besatzungsmächte zumindest ein wenig aufgearbeitet. Im Zuge der Liebenauer Prozesse im Jahr 1947 wurden 53 Leichen exhumiert, von denen 34 Schusswunden aufwiesen. Der Großteil von ihnen wurde am jüdischen Friedhof in Graz bestattet, jedoch sind nur von wenigen die Namen bekannt. Gegen die Lagerleitung wurde Anklage erhoben und die Prozesse führten zu zwei Todesurteilen und einer Haftstrafe, die Todesstrafe wurde kurz danach vollstreckt. Für viele war das Kapitel damit anscheinend abgeschlossen, denn danach gab es lange Zeit keine Beschäftigung mit dem Thema mehr; das Areal wurde bebaut und umgestaltet und nichts deutete mehr auf die Gräueltaten hin, die hier einst verübt wurden: Wo heute eine kleine Siedlung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern mit schönen Gärten sind, standen damals die Baracken des Lagers.
Es wurde schon damals vermutet, dass noch viel mehr Menschen hier erschossen wurden als die, die gefunden wurden, und zum Großteil noch immer unter der Erde liegen. Tatsächlich wurden dann 1992 beim Bau eines Kinderspielplatzes zwei der Opfer entdeckt und auch kürzlich, im Januar 2021, wurden bei Grabungen menschliche Knochen gefunden, die vermutlich Mordopfern des NS-Regimes gehören.
Aufarbeitung und Gedenken
Die Existenz des Lagers und die dunkle Geschichte von Graz Liebenau geriet lange Zeit in Vergessenheit – wie leider oft üblich, wurde nach dem Prozess das Thema nicht weiterverfolgt und die Vergangenheit musste ruhen. Schließlich geriet im Rahmen des Baus des Murkraftwerks Graz-Puntigam die Gegend und ihre Geschichte wieder ins öffentliche Interesse. Die Stadt Graz gab daraufhin gemeinsam mit der Energie Steiermark eine Studie am Ludwig Boltzmann Institut in Auftrag, die von Barbara Stelzl-Marx geleitet wurde. Ausgrabungen auf dem Bauareal brachten persönliche Gegenstände wie Kämme, Zeitungen, Briefe, Schmuck und vieles mehr zu Tage, jedoch keine weitere Leichen. Den WissenschaftlerInnen ist es zu verdanken, dass wir nun mehr wissen über die Opfer, auch wenn vieles im Ungewissen bleibt.
Die Erkenntnisse der Forschungen sollten nicht im Archiv verschwinden, beziehungsweise nur von einem Fachpublikum beachtet werden. Sie sollten der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit die Geschichte des Lagers niemals vergessen wird. Aus diesem Grund wurde am 11.09.2020 eine Gedenktafel errichtet, wo früher das Lager stand und sich heute der Grünanger bzw. Maria-Cäsar-Park befindet. Sie erinnert nun an die Morde des NS-Regimes, die in Graz Liebenau verübt worden sind.
Digitaler Rundgang
Wir haben uns sehr gefreut, an diesem Projekt mitarbeiten zu dürfen und die Geschichte des Lagers als gratis Guide anbieten zu können: Lager Liebenau – ein Ort verdichteter Geschichte. Ein besonderes Feature zeigt eine alte Ansicht des Areals nach Ende des Zweiten Weltkrieges aus der Vogelperspektive, eingebettet in die aktuelle Kartenansicht. Dies soll nochmals in Erinnerung rufen, dass wo sich heute Park, Kindergarten und kleine Häuser befinden, einst Massenmorde stattgefunden haben.
Der digitale Rundgang wurde vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in Kooperation mit der Karl-Franzens-Universität Graz und der Unterstützung des Cultural Places Teams erstellt. Die Fördergeber des Projektes sind das Kulturamt der Stadt Graz, die Abteilung Kultur, Europa, Sport des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung sowie die Energie Steiermark AG.
Markus Mörth 2020 / Im Auftrag des Ludwig Boltzmann Institutes für Kriegsfolgenforschung und der Stadt Graz